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gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch im kirchlichen Bereich
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Rahmenordnung
Inhalt:

Rahmenordnung 2021

Die Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich – Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt – Dritte, überarbeitete und ergänzte Ausgabe (2021) wurde in der Vollversammlung der Österreichischen Ordenskonferenz am 10. Mai 2021 und in der Som- mervollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz von 14. bis 16. Juni 2021 beschlossen. Die Diözesanbischöfe erteilten der Verfahrensordnung (Teil C) dieser Rahmenordnung einzeln ihre Zustimmung im Sinne can. 455 § 4 CIC 1983. Mit Schreiben vom 29. Mai 2021 teilte die Kongregation für die Glaubenslehre mit, dass ihrerseits keine Einwände gegen die vorliegende Neufassung der Rahmenordnung bestehen. Die Rahmenordnung tritt mit 1. September 2021 in Kraft.

 

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Inhalt

 

Einleitung

Gebet

Leitgedanken

 

Teil A – Grundlagen

 

A.1 Grundsätzliches zu Sexualität

A.2 Nähe und Distanz

A.3 Missbrauch und Gewalt

 

Teil B – Prävention

 

Papst Franziskus

Die Wahrheit wird euch frei machen

B.1 Kultur des achtsamen Miteinanders

B.2 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

B.3 Stabsstelle für Prävention von Missbrauch und Gewalt

B.4 Verhaltensrichtlinien

B.5 Hinweise für den Umgang mit Vermutungen und Beobachtungen

B.6 Bestimmungen für Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger

 

Teil C – Verfahrensordnung

 

C.1 Geltungsbereich

C.2 Einrichtungen

C.3 Beirat Opferschutz

C.4 Beschuldigte

C.5 Verhältnis zu anderen Verfahren

C.6 Arbeitsweise

C.7 Inkrafttreten

 

Teil D – Anhang

 

D.1 Schematische Darstellung der Vorgehensweise

D.2 Stichwortverzeichnis

D.3 Meldepflicht an die Glaubenskongregation

D.4 Verpflichtungserklärung auf die Rahmenordnung für Mitarbeitende

D.5 Adressen

Anmerkungen


 

Einleitung

 

Seit mehr als zehn Jahren ist es unser aufrechtes Bemühen, die Wunden, die von Klerikern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pastoral und in kirchlichen Einrichtungen durch Gewalt und Missbrauch geschlagen worden sind, wahrzunehmen und entschlossen aufzuarbeiten.

 

Über Jahrzehnte hat man sich diesen Klagen verschlossen; wir wollen diese leidvollen Erfahrungen nicht mehr übersehen und überhören. Dazu dient diese Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Sie wollte ab Juni 2010 allen Betroffenen das erforderliche Gehör und einen Weg der Aufarbeitung durch unabhängige Stellen nach einem klaren Konzept erstellen und möglich machen. Dieser rasch erstellte Verfahrensweg – aus der Erkenntnis der Notwendigkeit, sehr schnell handeln zu sollen – erfuhr mit den praktischen Erfahrungen einiger Jahre Tätigkeit eine erste Überarbeitung, um aufzugreifen und weiterzuentwickeln, was an Kritikpunkten aufgezeigt wurde. Auch Entwicklungen außerhalb des Einflussbereichs der Kirche wirkten sich aus, z. B. die Einführung des Heimopferrentengesetzes 2017.

 

Nach zehn Jahren zeigte sich die grundsätzliche Stärke des Regelwerks und seiner Grundsätze ebenso wie die Notwendigkeit weiterer Adaptierungen. Mit praktischen Erfahrungen aus den beteiligten Gremien und Rückmeldungen der Betroffenen wurden nun weitere Anpassungen angeregt und beschlossen, die zur Erstellung der dritten Fassung der Rahmenordnung führten. Die Aufarbeitung vergangenen Unrechts in einer ehrlichen Gewissensprüfung bleibt unsere Aufgabe und die Schärfung der Achtsamkeit für die schmerzliche Problematik unser Ziel. So ist seit einigen Jahren der wichtige Ansatz der Präventionsarbeit gewachsen, die vor allem durch die Stabsstellen für Präventionsarbeit in den einzelnen Diözesen geleistet wird. Es bleibt unser aller Aufgabe, mit dem klaren Blick auf den Umgang mit den uns anvertrauten Menschen, vor allem den besonders Schutzbedürftigen, die Wahrnehmung und Verpflichtung auf einen guten und wertschätzenden Umgang miteinander einzumahnen und einzufordern. Dies muss ein Grundprinzip unseres christlichen Handelns sein.

 

Alle Maßnahmen zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und besonders schutzbedürftigen Erwachsenen werden weit über den kirchlichen Einflussbereich hinauswirken und dienen dem Zweck, unentschuldbares Leid nicht nur aufzuarbeiten, wenn es passierte, sondern möglichst zu verhindern. Dabei sehen wir auch den Vorwurf von geistlichem Missbrauch, der seit einiger Zeit gelegentlich vorgebracht wird; auch dieses Thema wird im Blickfeld bleiben müssen.

 

Wir sind uns einig, dass es in der Aufarbeitung kein Vertuschen, keine leeren Entschuldigungen und kein Wegsehen mehr gibt, die Aufarbeitung erfolgt konsequent. Für uns gilt auch künftig das Wort von Papst Franziskus: „Es ist ein schmerzhafter Prozess, aber auch ein Trost, bei der Aufarbeitung helfen zu können …“ (Papst Franziskus auf dem Rückflug von Dublin, August 2018). Danke allen, die sich an dieser Aufgabe beteiligen! So übergebe ich die 3. Fassung der Rahmenordnung in der Hoffnung, gemeinsam einen weiteren guten Schritt der Aufarbeitung und vor allem der Prävention fortsetzen zu können!

 

Salzburg – Wien,

im Juni 2021

 

Erzbischof Dr. Franz Lackner OFM

Vorsitzender der Bischofskonferenz


 

Gebet

 

(Dieses Schuldbekenntnis wurde beim Bußgottesdienst in der Karwoche am 31. März 2010 im Stephansdom in Wien gebetet.)

 

Dreieiniger Gott, Du hast unsere Mütter und Väter aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt und sie die 10 Gebote eines guten Lebens gelehrt. Du bist in Jesus Christus Mensch geworden und hast uns gezeigt, dass die Liebe in allem die Grundregel ist. Du bist bei uns als Heiliger Geist, um uns zu führen. Dennoch werden wir schuldig, vor Dir und aneinander. Ungeheure Schuld ist in diesen Wochen offenbar geworden. Es ist Schuld einzelner; es ist Schuld geronnen in Strukturen, Verhaltens- und Denkmustern; es ist Schuld aus unterlassener Hilfe und nicht gewagtem Widerspruch. Die Verantwortung dafür trifft uns als Glieder der Kirche sehr unterschiedlich. Dennoch sind wir gemeinsam Dein Volk und wir stehen in einer gemeinsamen Verantwortung. So bekennen wir Dir und einander unsere Schuld:

 

Wir bekennen, dass wir nicht Gott alleine gefolgt sind, sondern den Götzen unserer Bedürfnisse nach Herrschaft und Überlegenheit.

 

Einige von uns haben genau dazu andere und sogar Kinder missbraucht.

 

Wir bekennen, den Namen Gottes, der Liebe heißt, verdunkelt und verraten zu haben.

 

Einige von uns haben vom lieben Gott geredet und doch Schutzbefohlenen Böses angetan.

 

Wir bekennen, die Sakramente und andere Zeiten und Orte der besonderen Gottesbegegnung nicht heilig gehalten und nicht gut genug geschützt zu haben.

 

Einige von uns haben sie als Gelegenheiten zum Übergriff benutzt.

 

Wir bekennen, dass wir die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern nicht aus unbedingtem Respekt vor den anderen gestaltet haben. Einige von uns haben das Vertrauen von Kindern ausgenützt und zerstört.

 

Wir bekennen, die Zerstörung von Leben und Lebensglück nicht wahrgenommen, nicht verstanden und verharmlost zu haben.

 

Einige von uns sind schuldig geworden am inneren Tod anderer Menschen.

 

Wir bekennen, dass wir die Leiblichkeit nicht wertgeschätzt haben und an der Aufgabe, Sexualität gut zu leben, gescheitert sind.

 

Einige von uns haben sexuelle Gewalt angewendet.

 

Wir bekennen, dass wir die Jugend, die Schönheit, die Lebendigkeit anderer Menschen für uns haben wollten.

 

Einige von uns haben Buben und Mädchen dadurch die Kindheit gestohlen und sie der Fähigkeit beraubt, gelingende Beziehungen zu leben.

 

Wir bekennen, dass wir die Wahrheit nicht erkennen wollten, dass wir vertuscht und ein falsches Zeugnis gegeben haben.

 

Einige von uns konnten dadurch andere und sich selbst weiter belügen und ihre Verbrechen fortführen.

 

Wir bekennen, dass wir über andere verfügen und sie besitzen wollten.

 

Einige von uns haben sich deshalb der Körper der Schwächsten bemächtigt.

 

Wir bekennen, begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Macht und Ansehen.

 

Einigen von uns war der Anschein der Makellosigkeit der Kirche wichtiger als alles andere.

 

Wir, Gottes Volk, seine Kirche, tragen miteinander an dieser Schuld.

 

Wir bekennen diese Schuld den vielen, an denen wir als Kirche und einige von uns ganz konkret schuldig geworden sind.

 

Wir bekennen diese Schuld einander, denn die Kirche ist schuldig geworden an ihren Gliedern.

 

Wir bekennen Dir Gott unsere Schuld.

 

Wir sind bereit, unsere Verantwortung für Geschichte und Gegenwart anzunehmen, einzeln und gemeinsam. Wir sind bereit, unsere Denk- und Handlungsmuster aus dem Geist Jesu zu erneuern und an der Heilung der Wunden mitzuwirken. Wir stellen uns als Kirche in das Gericht Christi. Du, Christus, sagst, dass Du unsere Schuld auf Dich genommen hast. Doch heute bitten wir Dich: Lass sie uns noch ein wenig. Hilf uns, ihr nicht zu schnell auszuweichen, mach uns bereit, sie anzunehmen – jeder die eigene Schuld und wir gemeinsam die gemeinsame. Und dann gib uns Hoffnung im Gericht: Hoffnung auf die neue Freiheit aus der Wahrheit und auf die Vergebung, auf die wir kein Anrecht haben.

 

Amen.


 

Leitgedanken

 

von Papst Franziskus

 

In den vergangenen Jahren haben wir Gott sei Dank ein besonderes Bewusstsein für diese Probleme (verschiedene Arten des Missbrauchs) festgestellt. Die Kultur des Missbrauchs, sei es sexueller Art oder von Macht und Gewissen, wurde zuerst von den Opfern und ihren Familien angeprangert, die trotz ihres Leidens ihren Kampf für Gerechtigkeit führten und dazu beitrugen, die Gesellschaft auf diese Perversität aufmerksam zu machen und zu heilen.

 

Ich werde auch nicht müde, mit Trauer und Scham davon zu sprechen, dass diese Missbräuche auch von einigen Mitgliedern der Kirche begangen wurden. In den vergangenen Jahren haben wir wichtige Schritte unternommen, um Missbräuche abzustellen und eine Kultur der Fürsorge zu schaffen, die rasch auf Anschuldigungen reagieren kann. Die Schaffung einer Kultur der Fürsorge wird Zeit brauchen, sie ist aber eine unvermeidliche Verpflichtung, auf der wir mit aller Deutlichkeit bestehen müssen. Es darf keinen Missbrauch – sexueller Art oder von Macht und Gewissen – mehr geben, weder innerhalb noch außerhalb der Kirche.

 

Wir haben dieselbe Bewusstwerdung überall in der Gesellschaft gesehen. In der #MeToo- Bewegung, in den vielen Skandalen um mächtige Politiker, Medienmacher und Geschäftsleute – Raubtiere unter den Menschen. Eine Geisteshaltung wurde aufgedeckt: Wenn man alles haben kann, wann man will, warum dann nicht auch junge Frauen sexuell ausnutzen, Frauen, die zu ihnen aufschauen und bestrebt sind, zu gefallen? Die Sünden der Mächtigen sind fast immer Sünden der Anspruchshaltung, begangen von Menschen, deren Schamlosigkeit und dreiste Arroganz atemberaubend sind. In der Kirche ist dieses Gefühl der Anspruchshaltung das Krebsgeschwür des Klerikalismus, wie ich es nenne, eine Perversion dessen, wozu Priester berufen sind.

 

Aber in allen Fällen ist die Wurzel der Sünde die gleiche. Es ist die alte Sünde derer, die glauben, dass sie ein Recht darauf haben, andere zu besitzen, die keine Grenzen kennen und schamlos glauben, die anderen nach Belieben benutzen zu können. Es ist die Sünde, den Wert einer Person nicht zu respektieren.

 

(…) Es ist richtig und gerecht, dass Menschen ihre Würde bei allen Formen von Missbrauch zurückfordern. Missbrauch ist eine schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde, die wir nicht zulassen können und gegen die wir weiterhin ankämpfen müssen.1


 

Teil A - Grundlagen

 

Zum Verständnis von Missbrauch und Gewalt gegenüber Kindern, Jugendlichen und schutzbedürftigen Personen

 

A.1 Grundsätzliches zu Sexualität

 

Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist für jeden Menschen ein lebenslanger Prozess. Dazu gehören wesentlich auch die Entdeckung und Kultivierung der eigenen sexuellen Identität. Die Geschlechtlichkeit des Menschen, der vom Schöpfer „als Abbild Gottes (…), als Mann und Frau“2 geschaffen wurde, gehört untrennbar zum Menschsein. Wie die anderen Begabungen wächst und entwickelt sich die Leiblichkeit der Person durch unterschiedliche Stadien hindurch und kommt zur Reife, nämlich zu der Fähigkeit zur Entwicklung zwischenmenschlicher personaler Beziehungen. Jeder Mensch erfährt seine geschlechtliche Verfasstheit in Form seiner sexuellen Identität als konstitutiven Teil seiner Persönlichkeit. Sexualität als liebevolle und lustvolle Erfahrung der Leiblichkeit, der eigenen und der der Partnerin bzw. des Partners, ist somit nicht ein Drang, der von außen zum Menschsein hinzukommt, sondern gehört zum Innersten der menschlichen Person, die nach christlicher Auffassung als Einheit von Leib und Seele, von Körper und Geist verstanden wird.

 

Jede Reduzierung auf einen Teilaspekt der Person, etwa in der Verneinung und Ablehnung des Körperlichen oder in dessen Überbewertung, verstellt den Blick auf das Ganze des Menschen und birgt somit die Gefahr, ihn, sich selbst oder die andere bzw. den anderen zur reinen Befriedigung seiner Bedürfnisse zu missbrauchen. Das aber wäre purer Egoismus, der mit Liebe nichts zu tun hat. Sexueller Missbrauch gründet oft in einer nicht gelungenen Integration der Sexualität in die Gesamtpersönlichkeit eines Menschen oder in einer gestörten psychosexuellen Entwicklung.

 

Der Entwicklungsprozess zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Persönlichkeit bedarf insbesondere im Kindes- und Jugendalter der achtsamen und wertschätzenden Begleitung und Erziehung durch die Verantwortlichen: Eltern, Familie, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Verantwortliche in der Kinder- und Jugendarbeit und Seelsorgerinnen und Seelsorger. Dieser Prozess erfordert neben der Sozialkompetenz im Umgang mit jungen Menschen die eigene sexuelle Reife und das Wissen um grundlegende Eigenheiten der geschlechtlichen Entwicklung und entwicklungspsychologische Erkenntnisse.

 

Eine christliche Begleitung junger Menschen hat die Entwicklung reifer eigenständiger Persönlichkeiten zum Ziel: „Die Erfahrung eines jungen Menschen mit der Kirche sollte immer zu einer persönlichen und belebenden Begegnung mit Jesus Christus innerhalb einer liebenden und nährenden Gemeinschaft führen. In diesem Umfeld sollten junge Menschen ermutigt werden, zu ihrer vollen menschlichen und geistigen Reife heranzuwachsen (…).“3 Kindern und Jugendlichen soll es ermöglicht werden, ihr Personsein so zu entwickeln, dass sie als Erwachsene die Erfahrung von Liebe und ganzheitlicher Annahme durch eine Partnerin bzw. einen Partner machen und anderen weitergeben können.

 

A.1.1 Sexuelle Orientierung und Missbrauch

 

Die sexuelle Ausrichtung ist nicht ausschlaggebend dafür, ob jemand zu einer Missbrauchstäterin bzw. einem Missbrauchstäter wird.

 

A.1.2 Zölibat und Missbrauch

 

In der öffentlichen Diskussion um die bekannt gewordenen Fälle sexueller Gewalt im kirchlichen Bereich wird immer wieder die Frage gestellt, ob eine Änderung der Praxis der römisch-katholischen Kirche, den Zugang zur Priesterweihe mit der Verpflichtung zum Zölibat zu verbinden, Missbrauchsfälle reduzieren würde. Oft wird sogar die Meinung vertreten, dass eine Aufhebung der Verpflichtung zur Ehelosigkeit das Problem des sexuellen Missbrauchs lösen könnte.

 

Expertinnen und Experten betonen, dass es zwischen zölibatärer Lebensform und sexuellem Missbrauch keinen Zusammenhang gibt. Eine große Zahl an Missbrauchstaten wird durch verheiratete Menschen bzw. in Familien begangen. Nicht das Fehlen einer Sexualpartnerin bzw. eines Sexualpartners ist Ursache für sexuellen Missbrauch, sondern eine gestörte oder unausgereifte psychosexuelle Entwicklung. Es bedarf bei jedem Menschen einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und deren Integration in die Gesamtpersönlichkeit.

 

A.1.3 Pädophilie bzw. Hebephilie und Missbrauch

 

Pädophilie ist ein sexuelles Interesse Erwachsener an Kindern, die noch nicht in der Pubertät sind und im Allgemeinen nicht älter als 11 Jahre alt sind. Von den Betroffenen können Jungen- und/ oder Mädchenkörper als sexuell erregend empfunden werden.

 

Personen mit einer Hebephilie fühlen sich sexuell von Jugendlichen (12–17 Jahre) angesprochen, deren körperliche Entwicklung bereits Merkmale der Pubertät aufweist.

 

A.1.4 Schutzbedürftige Erwachsene und Missbrauch

 

Einer Seelsorgerin bzw. einem Seelsorger vertrauen sich Menschen unterschiedlichen Alters an, suchen Rat, Trost, Hilfe, Wegbegleitung und Unterstützung. Diese Menschen benötigen einen besonders geschützten Rahmen, um sich sicher und verstanden zu fühlen. Diese Begleitsituationen sind geprägt von großer Nähe: Menschen öffnen sich im Vertrauen und reden über ihre Gottesbeziehung und ihre intimen Probleme. Geistliche Begleitung und seelsorgliche Gespräche sind geprägt von der Möglichkeit, einem Menschen sehr nahezukommen. Sie müssen einerseits eine Intensität, Dichte und Nähe zulassen, andererseits aber die nötige innere und äußere Distanz wahren. Daraus kann ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu ihren begleitenden Personen, ihren Seelsorgerinnen und Seelsorgern entstehen. Diese Abhängigkeit darf keinesfalls ausgenützt und missbraucht werden.4

 

Eine weitere große Gruppe an schutzbedürftigen Personen gibt es dort, wo Menschen (teilweise nicht selbstbestimmt) mit kirchlichen Einrichtungen und den darin handelnden Personen in Kontakt kommen. Das sind z. B. Patientinnen und Patienten, Pflegebedürftige oder Menschen auf der Flucht. Genauso fallen Menschen mit Beeinträchtigungen oder psychisch erkrankte Personen in die Gruppe der schutzbedürftigen Erwachsenen.

 

A.2. Nähe und Distanz

 

Arbeit mit Kindern und Jugendlichen5 sowie besonders schutzbedürftigen Personen6 ist Beziehungsarbeit. Zur Gestaltung von Beziehungen gehört ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz. Dieses Zusammenspiel muss man als verantwortliche Person immer wieder aufs Neue anschauen und überprüfen.

 

Grundlage jeder ernst zu nehmenden und vertrauensvollen Beziehung zwischen einer Autoritätsperson7 und einem Kind oder einer Jugendlichen bzw. einem Jugendlichen ist das gegenseitige Zulassen und Aufbauen von geistiger und emotionaler Nähe. Die Verantwortung der Autoritätsperson für eine gelingende Beziehung erstreckt sich auch auf den Umgang mit Körperlichkeit und körperlicher Nähe. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen gilt es, aufmerksam zu sein und ihnen die Möglichkeit zu geben, Nähe und Distanz selber zu bestimmen, und zwar immer so, dass möglichst alles vermieden wird, was Anlass zu Fehlinterpretationen oder übler Nachrede geben könnte.

 

Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist eine grobe, machtvolle und gewalttätige Ausnutzung dieser Nähe, auch dann, wenn es die Autoritätsperson selbst gar nicht so einschätzt. Das Wissen um die Möglichkeit des Missbrauchs körperlicher Nähe darf andererseits nicht dazu führen, dass ein gesunder und notwendiger körperlicher Kontakt – unter anderem im Spiel – vermieden oder misstrauisch beobachtet wird. Wichtig und notwendig sind einerseits eine Sensibilisierung der Wahrnehmung und andererseits konkrete Kenntnisse darüber, was im Falle eines Verdachts von Übergriffen jeglicher Art zu tun ist. Erwachsene dürfen, wenn sie unkorrekte oder jedenfalls unbedachte Verhaltensweisen bei einem Priester, Diakon, bei einer Religionslehrerin oder einem Religionslehrer usw. wahrnehmen, nicht wegschauen. Sie sind verpflichtet, bei leichten Grenzverletzungen die Person darauf anzusprechen bzw. bei schwereren Grenzverletzungen sich an die Ombudsstelle zu wenden.

 

Die Bedeutung von Nähe und Distanz kann von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation völlig unterschiedlich sein. Manchmal ist viel Nähe belastend, in anderen Situationen sehnen wir uns wieder nach mehr Geborgenheit und Nähe. Nähe ist wichtig und der Umgang soll achtsam, respektvoll und transparent erfolgen. Entscheidend ist, dass zwischen Kind und Autoritätsperson der pastorale und pädagogische Kontext beachtet wird. Wenn z. B. ein Kind beim Trösten nicht umarmt werden will, ist das zu unterlassen. Die bzw. der Erwachsene ist dafür verantwortlich, dass Grenzen dieser Art wahrgenommen und eingehalten werden.

 

Eine Sensibilisierung in diesem Bereich erfolgt einerseits durch Bewusstseinsbildung und eine Beschäftigung mit den eigenen Bedürfnissen, andererseits durch das Hineindenken und Hineinfühlen in die Situation und in die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen oder durch den Austausch mit anderen Gruppenleiterinnen und -leitern über ihre Erfahrungen.

 

Eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema macht in heiklen Situationen sicherer. Dazu kann auch Hilfe von außen in Anspruch genommen werden, die eigene Arbeit kann beobachtet und Feedback von anderen eingeholt werden (z. B. in Form von Gruppen- oder Einzelsupervision, geistlicher Begleitung, …).

 

Trotz mancher schwierigen Fragen ist klar, dass auf Nähe – und in einem gewissen Rahmen auch auf körperliche Nähe – in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht verzichtet werden kann. Es geht ja darum, bestimmte Bereiche des Lebens miteinander zu teilen. Dazu gehört, sich aufeinander einzulassen und Nähe zuzulassen.

 

A.3. Missbrauch und Gewalt

 

A.3.1 Abstufungen nach Schweregrad

 

A.3.1.1 Grenzverletzendes Verhalten

 

Jeder Mensch hat um sich herum eine „gefühlte“ Grenze, die von ihm als schützend und notwendig empfunden wird. Diese Grenze ist individuell und variiert auch etwa im Laufe eines Tages oder je nach Umgebung.

 

Eine Grenzverletzung passiert, wenn Personen mit ihren Worten, Gesten und ihrem Verhalten die persönliche Grenze von anderen überschreiten. Grenzverletzungen können unabsichtlich geschehen. Beispiele für Grenzverletzungen sind etwa: öffentliches Bloßstellen, Kinder und Jugendliche als „Schatzi“ oder „Süße“ bezeichnen, das Zulassen einmalig sexualisierten Verhaltens von Kindern und Jugendlichen im Kontakt.

 

Entscheidend für die Bewertung, ob eine Grenzverletzung passiert ist, ist das persönliche Erleben der Betroffenen. Wenn sich etwa jemand verletzt, gedemütigt oder abgewertet fühlt, wurde eine Grenze überschritten. Damit es zu keiner „Kultur der Grenzverletzungen“ kommt, die mögliche Täterinnen und Täter ausnützen können, um gezielt Übergriffe zu setzen, müssen Grenzverletzungen als solche wahrgenommen, angesprochen und korrigiert werden.

 

A.3.1.2 Übergriffiges Verhalten

 

Übergriffiges Verhalten ist bewusstes, absichtliches Verhalten und geschieht, wenn Personen grenzverletzendes Verhalten nicht ändern und gezielt wiederholen. Übergriffiges Verhalten ist kein Versehen und missachtet die abwehrenden Reaktionen der Betroffenen. Als übergriffig bezeichnet man ein Verhalten auch schon beim ersten Mal, wenn es vom Ausmaß her mehr als eine Grenzverletzung zu beschreiben ist. Übergriffige Personen relativieren und bagatellisieren ihr Verhalten, ebenso wenn Dritte ihr Verhalten ansprechen und kritisieren.

 

Beispiele für übergriffiges Verhalten sind etwa: Mädchen und Burschen bewusst zu ängstigen, häufige sexistische Bemerkungen oder gezielte Berührungen an der Brust und am Po, wie etwa auch ein scheinbar „freundschaftlicher“ Klaps auf den Po. Übergriffiges Verhalten erfordert Konsequenzen, wie etwa einen befristeten Ausschluss. Bei übergriffigem Verhalten von Jugendlichen ist dieses anzusprechen, eine Grenze zu setzen und professionelle Hilfe bei Fachpersonen (Psychologinnen und Psychologen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten etc.) zu vermitteln.

 

A.3.1.3 Straftaten

 

Kinder können die Zulässigkeit sexueller Handlungen mit Erwachsenen und älteren Jugendlichen und deren Folgen nicht einschätzen. Sie können daher solchen Handlungen nicht zustimmen. Jede sexuelle Handlung (mit oder ohne Körperkontakt) von Erwachsenen und Jugendlichen über dem 14. Lebensjahr mit, an oder vor Kindern, die noch nicht 14 Jahre alt sind, wird daher als sexuelle Gewalttat gesehen und ist strafbar.

 

„Grooming“ ist, wenn sich Erwachsene das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen mit dem Ziel der – sexualisierten – Gewaltausübung erschleichen. Das ist in Österreich ein Straftatbestand.

 

A.3.2 Differenzierung nach der Art

 

A.3.2.1 Vernachlässigung

 

Vernachlässigung8 meint unzureichende oder gar nicht geleistete Betreuung und Versorgung. Sie wird wegen ihres schleichenden Verlaufs gewöhnlich zu wenig beachtet.9

 

A.3.2.2 Physische Gewalt

 

Unter physischer Gewalt wird jede körperlich schädigende Einwirkung auf andere verstanden: z. B. Schlagen, Ohrfeigen, Unterlassung von Hilfeleistung bei Verletzungen oder Erkrankungen.

 

Körperliche Misshandlung von Kindern und Jugendlichen wird heute nicht in gleicher Weise tabuisiert wie das Thema sexuelle Gewalt. Erwachsene sind für Betroffene eher ein Sprachrohr. Scham und Schuldgefühle prägen sich zumeist nicht in gleicher Weise ein, da es Öffentlichkeit und deklarierte Loyalität gibt.

 

A.3.2.3 Psychische Gewalt

 

Unter psychischer Gewalt wird emotionale Misshandlung anderer verstanden, z. B. Verhaltensweisen, die Betroffenen das Gefühl von Ablehnung, Ungeliebtsein, Herabsetzung, Wertlosigkeit oder Überfordertsein vermitteln, Isolierung, emotionales Erpressen, Aufbürden unangemessener Erwartungen, Instrumentalisierung, Stalking, abwertende Äußerungen über Eltern oder andere Angehörige oder Herkunft.

 

Ebenfalls darunter fallen Taten auf der Ebene der „Peer to Peer“-Übergriffe, z. B. in Form von Mobbing und Cyber-Mobbing (Drangsalierung mit elektronischen Kommunikationsmitteln).

 

A.3.2.4 Spirituelle Gewalt10

 

Spirituelle Gewalt ist eine besondere Form von psychischer Gewalt, die im allgemeinen Sprachgebrauch „Geistiger Missbrauch“ oder „Geistlicher Missbrauch“ bezeichnet wird. Spiritueller Missbrauch wird ausgeübt, wenn mittels religiöser Inhalte oder unter Berufung auf geistliche Autorität Druck und Unfreiheit entstehen und Abhängigkeit erzeugt und ausgenutzt wird. Das Phänomen ist zwar nicht neu, aber dennoch nicht ausreichend wissenschaftlich erfasst und bearbeitet. So gibt es z. B. keine zufriedenstellende Definition oder klare Abgrenzung zu anderen Gewalt- und Missbrauchsformen. Bei Vorliegen neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse werden diese bei zukünftigen Auflagen der Rahmenordnung Berücksichtigung finden.

 

A.3.2.5 Sexualisierte Gewalt/Sexueller Missbrauch

 

Es gibt verschiedene Definitionen von sexuellem Missbrauch. Eine gängige Definition für sexuellen Missbrauch lautet: „Sexueller Missbrauch bedeutet eine nicht zufällige, bewusste, psychische und/oder physische Schädigung, die zu Verletzungen, Entwicklungshemmungen oder sogar bis zum Tode führt und die das Wohl und die Rechte eines anderen, hier des Kindes, des Jugendlichen oder der besonders schutzbedürftigen Person beeinträchtigt.“11

 

Bei einem sexuellen Missbrauch führt eine Erwachsene bzw. ein Erwachsener absichtlich Situationen herbei. Er plant sie und missbraucht seine Autoritäts- und/oder Vertrauensposition, um sich sexuell zu erregen.12 Sexueller Missbrauch beginnt oft mit Streicheln, „harmlosen Kitzelspielen“, Berühren und Berührenlassen im Geschlechtsbereich usw. Die Intensität der Handlungen kann sich im Lauf der Zeit steigern und je nach Nähe zwischen Täterin bzw. Täter und betroffener Person verändern. Neben dem eindeutig definierten sexuellen Missbrauch, wie er im Strafrecht geregelt ist13, kann es subtilere Formen geben wie z. B. verbale sexuelle Belästigung, sexualisierte Atmosphäre oder Sprache, Beobachtung des Kindes beim Ausziehen, Baden, Waschen bzw. nicht altersgemäße Hilfestellungen, nicht altersgemäße Aufklärung über Sexualität. Sexueller Missbrauch ist die Nötigung zu einem sexuellen Verhalten unter Ausnützung eines Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses, wie im schlimmsten Fall die Vergewaltigung. Dazu gehören aber auch der sexuelle Verkehr ohne Bedrohung oder Gewaltanwendung, wenn er unter Ausnützung eines Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses erfolgt.

 

Abgesehen von sexuellen Übergriffen von Erwachsenen an Kindern und Jugendlichen gibt es sexuelle Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen (z. B. unter Geschwisterkindern, in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, in Kinder- und Jugendgruppen, in Sportgruppen, in Jugendbeschäftigungsprojekten). Ebenso gibt es Übergriffe unter Erwachsenen.

 

A.3.2.6 Gewalt in digitalen Medien

 

Der Begriff „Mediengewalt“ bezieht sich sowohl auf den passiven Konsum von medial dargestellter Gewalt (z. B. Ansehen eines gewalthaltigen Videos) als auch auf die aktive Ausübung von Gewalt mithilfe von Medien (z. B. Veröffentlichen eines bloßstellenden Fotos). Bei beiden Formen ist die sexuelle Gewalt eine Ausprägung unter mehreren.

 

Neben der strafbaren Handlung, bei der Erwachsene Kinder und Jugendliche mit pornografischen Darstellungen medial konfrontieren, kommt es zu Situationen, bei der Kinder und Jugendliche medial dargestellte Gewalt passiv konsumieren, Opfer von medial ausgeübter Gewalt werden oder Gewalt aktiv mithilfe von Medien ausüben. Manchmal geht dies Hand in Hand: So konsumieren Kinder und Jugendliche Bilder mit pornografischen Inhalten und schockieren damit beispielsweise Jüngere. Gewalt in digitalen Medien in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ist von steigender Bedeutung.

 

A.3.2.6.1 Passive Mediengewalt: Konsumieren und Zusehen

 

Schon sehr früh wird Mediengewalt von Kindern konsumiert – beispielsweise in Zeichentrickfilmen. Gewaltdarstellungen begegnen Kindern in vielfältiger Art und Weise: „Witzige Gewalt“ (Zeichentrickserien, Videos, lustige Spiele), nachgespielte, gestellte Gewalt (Stunts, Wrestling, nachgestellte Schlägereien), gewalthaltige Musikvideos und Songtexte, Horrorfilme und Gewalt in Spielfilmen, Pornografie (entweder mit gewalttätigen Inhalten oder dazu verwendet, um durch Herzeigen Gewalt gegen jüngere Kinder auszuüben) sowie echte, extrem brutale Gewalt (Hinrichtungen, Kriegsszenarien, Folter, Vergewaltigungen, Morde – sogenannte Snuff-Videos).

 

A.3.2.6.2 Aktive Mediengewalt: Produzieren und Ausüben

 

Auch hier gibt es vielfältige Formen: Beginnend bei Belästigungen im Internet (durch unerwünschte Werbung, anzügliche Nachrichten oder Postings) bis zu Cyber-Mobbing (absichtliches Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen von Personen im Internet oder über das Handy, auch Cyber-Stalking oder Cyber-Bullying genannt), Happy Slapping (Prügeleien, Auseinandersetzungen und Rangeleien zwischen Jugendlichen werden gefilmt und über Internet und Handy rasant verbreitet), Sexting (erotische Fotos oder Nacktaufnahmen werden gegen den Willen der dargestellten Personen in sozialen Netzwerken verbreitet), sexuelle Belästigung und sexuelles Bedrängen, Verführen oder Ködern im Internet.14

 

A.3.3 Missbrauchszyklus

 

Effektiver Kinderschutz kann ohne die Erfahrungen aus der Arbeit mit Täterinnen und Tätern nicht geleistet werden, da Betroffene zwar wissen, was ihnen widerfahren ist (Inhaltswissen), Täterinnen bzw. Täter aber das Wissen über den Beginn, die Planung, die Verführung und Durchführung des Missbrauchs haben (Prozesswissen). Durch die Zusammenarbeit von Opferschutzeinrichtungen und die Beschäftigung mit Täterinnen und Tätern entstand das Modell des Missbrauchszyklus, der in die internationale Täterforschung und direkte Arbeit mit Täterinnen und Tätern Eingang gefunden hat.15 Dabei wird von den Prämissen ausgegangen, dass es ein Verhaltensmuster von der Phantasie bis hin zur Tat gibt, dass das Verhalten absichtlich ist und aus verschiedensten Motiven entsteht. Fünf häufige Gründe sind Wut, Macht, Sex, Kontrolle und Angst.

 

Nach der grundlegenden Arbeit von Hilary Eldridge/Faithful Foundation entspricht der Missbrauchskreislauf einem allgemeinen Abhängigkeitszyklus. Jeder Mensch, der seine Abhängigkeitsmuster (z. B. bezüglich Trinken, Rauchen, Einkaufen, Essen, sexuellem Verhalten) erkennen möchte, kann sie nach diesem Kreislauf erforschen.

 

Es ist nicht leicht, abhängiges Verhalten zu ändern. Missbrauchstäterinnen und Missbrauchstätern fällt es schwer, ihr Verhalten aufzugeben oder zu verändern. Sie verleugnen es, für sie war der Missbrauch ein „Ausrutscher“.

 

Folgende Grundannahmen begleiten den „Missbrauchszyklus“:

 

  • Hat eine Täterin bzw. ein Täter mit sexuellen Missbrauchshandlungen an Kindern begonnen, so ist es für sie bzw. ihn sehr schwer, damit wieder aufzuhören.
  • Sie bzw. er hat ein sogenanntes „verzerrtes Denken“, das die Tat rechtfertigt: „Meine Kinder gehören mir, ich kann mit ihnen machen, was ich will!“ – „Kinder haben auch eine Sexualität, es ist gesund und förderlich, was ich mit ihnen mache!“ – „Ich bin so lieb, sie/ er hat das gerne!“ Sie bzw. er betrachtet das Opfer als Sexualobjekt.
  • Ihr bzw. sein Missbrauchsverhalten hat sie bzw. er in Phantasien durchgespielt und eingeübt.
  • Sie bzw. er definiert das Verhalten des Op- fers um: „Sie/Er hat sich nicht gewehrt!“ – „Sie/Er kam immer wieder zu mir!“ – und deutet es als Zustimmung.
  • Die Tat ist nicht einmalig und nicht einfach nur passiert.
  • Sie bzw. er sieht sich als passiv, das Opfer als aktiv Reagierenden.
  • Selbst wenn sie bzw. er behauptet, ihr bzw. sein Verhalten sei falsch, glaubt sie bzw. er nicht wirklich, dass es falsch ist.
  • Ihr bzw. sein Motiv, um professionelle Hilfe zu bitten, ist nicht selten „suspekt“. Sie bzw. er möchte als einsichtig gelten, weil sie bzw. er befürchtet, bald entdeckt zu werden. Die Abklärung ihrer bzw. seiner Motivation ist vorrangig zu beachten.

 

A.3.4 Vier Faktoren bei sexuellen Gewaltübergriffen

 

David Finkelhor beschreibt vier Faktoren, die einzeln, in unterschiedlichen Kombinationen oder auch alle gemeinsam bei sexuellen Gewaltübergriffen als Motivation zum Tragen kommen:16

 

Emotionale Kongruenz: Gefühl der emotionalen Übereinstimmung mit kindlichem und jugendlichem Erleben.

 

Sexuelle Erregbarkeit: Beschreibt die physiologische Reaktion auf die Präsenz von Kindern oder die Phantasien über Kinder, die zu sexuellen Aktivitäten führen.

 

Blockierung: Bezieht sich auf die Unfähigkeit mancher, sexuelle Kontakte mit erwachsenen Frauen oder Männern befriedigend leben zu können.

 

Enthemmung: Meint das schrittweise Wegfallen aller inneren und äußeren Hindernisse, der Missbrauch dient der Befriedigung von Macht und Dominanzbedürfnissen.

 

Damit es zu sexueller Gewalt kommt, müssen zudem vier Vorbedingungen erfüllt sein:

 

  • Die potenzielle Täterin bzw. der potenzielle Täter hat eine Motivation. Diese kann in emotionaler Kongruenz, sexueller Erregbarkeit, Blockaden bestehen.
  • Die potenzielle Täterin bzw. der potenzielle Täter überwindet innere Hemmungen gegen das Ausagieren. Ein Motiv zu haben, reicht noch nicht aus. Es werden auch Hemmungen, wie das Inzesttabu oder die Überzeugung, Kindern keine Gewalt anzutun, überwunden.
  • Äußere Hindernisse, wie sie die Beaufsichtigung eines Kindes, stabile Sozialkontakte des Kindes in und außerhalb der Familie, Angst vor strafrechtlicher Verfolgung oder die soziale Ächtung sexueller Gewalt darstellen, werden in einem nächsten Schritt überwunden.
  • Die letzte Hürde stellt ein möglicher Widerstand des Kindes dar. Diesen zu überwinden, stellt für Täterinnen bzw. Täter keine große Hürde dar.

 

Was dabei zum Ausdruck kommt, ist, dass sich das Handeln der Täterin bzw. des Täters nicht allein auf sie bzw. ihn und die betroffene Person beschränkt, sondern dass es ein mitbetroffenes Umfeld gibt. Dies gilt es, sowohl bei präventiven Überlegungen zu beachten – wo könnten Kontrollmechanismen sein bzw. verstärkt werden – als auch im Rahmen von konkreten Interventionen. Es gibt eine mitbetroffene Familie, Gemeinde, Ordensgemeinschaft, Schulklasse, Schule, Kinder-, Jugendgruppe usw. Damit hier keine Täterin- bzw. Täter-Opfer-Umkehr stattfindet, ist nicht allein mit den Betroffenen und Täterinnen bzw. Tätern zu arbeiten, sondern auch dem betroffenen sozialen Umfeld Hilfe anzubieten.

 

A.3.5 Wie kann man Betroffene erkennen?

 

Es gibt keine eindeutigen Merkmale für die Erkennung von erlebter sexueller Gewalt. Jede Verhaltensauffälligkeit (z. B. plötzliches Sich-Zurückziehen, plötzliche Distanzlosigkeit), jede Veränderung im Verhalten, jede psychosomatische Erkrankung kann auf einen zugrundeliegenden Missbrauch hindeuten.

 

Grundsätzlich gibt es kein Kindesmissbrauchs-Syndrom, d. h., man kann nicht mehrere abweichende Verhaltensweisen zusammenfassen, um zu erkennen, dass es sich um einen sexuellen Kindesmissbrauch handelt. Vielmehr ist es notwendig, zu beobachten, zu erkennen und zu ergründen, warum sich ein Kind verändert hat.

 

Ein vormals schüchternes Kind kann plötzlich aggressiv werden. Ein lautes, munteres Kind wird schüchtern und leise. Ein „wohlerzogenes“ Kind verwendet eine obszöne Sprache. Wiederum ein anderes Kind drückt es in psychosomatischer Form aus. Es war bereits rein und beginnt wieder einzunässen. Es reagiert mit Kopfschmerzen und weist damit darauf hin, dass ihm etwas Kopfzerbrechen bereitet. Es hat Magenschmerzen und zeigt dadurch an, dass ihm etwas im Magen liegt. Es erbricht täglich in der Früh und findet die Welt zum Speien. All dies sind Beispiele für körperliche Symptome, die auf sexuellen Missbrauch hindeuten und ein Hilferuf des Kindes sein können.

 

Für Personen aus dem Umfeld ist es manches Mal nur eine vage Vermutung, ein unbestimmtes Gefühl, denn selten spricht ein Kind den Missbrauch direkt an. Man spricht mit Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden oder Personen, die das Kind kennen, über eine Vermutung bzw. über Wahrnehmungen. Oft kommen Ängste und Zweifel, dass so etwas „Unfassbares“ geschehen ist. Man möchte niemanden falsch verdächtigen, insbesondere, wenn die potenzielle Täterin bzw. der potenzielle Täter bekannt ist („so ein gut sorgender Vater, der holt seine Tochter immer ab“), man hat Angst, als „hysterisch“ abgestempelt zu werden.

 

Man darf einen möglichen Missbrauch nie ausschließen, wenn sich ein Kind unerklärbar auffällig verhält. Den Anzeichen muss unbedingt nachgegangen werden.

 

A.3.6 Tätertypologien17

 

Wie bei jeder Typologisierung oder Schematisierung gilt auch bei dieser Vorsicht vor zu schnellen Einordnungen und Generalisierungen. Eindeutige Zuordnungen sind nicht immer möglich. Dennoch sind diese hilfreich. In Bezug auf Missbrauch in der Kirche werden in der MHG-Studie folgende Typen unterschieden.

 

1. Fixierter Typus: Sexueller Missbrauch geschieht an einem oder mehreren Kindern über einen Zeitraum von mehreren Monaten, nicht lange nach der Priesterweihe. Es gibt Hinweise auf eine pädophile Präferenzstörung, also eventuell auch schon vor der Priesterweihe.

 

2. Narzisstisch-soziopathischer Typus: Er übt seine Macht nicht nur beim sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aus, sondern in inadäquater Weise auch in anderen Kontexten. Sexueller Missbrauch ist nur eine von mehreren Formen von narzisstischem Machtmissbrauch. Es gibt Hinweise auf ein breites Spektrum problematischer Verhaltens- und Persönlichkeitsausprägungen.

 

3. Regressiv-unreifer Typus: Er ist charakterisiert durch eine defizitäre persönliche und sexuelle Entwicklung, die erst im Erwachsenenalter besonders deutlich wird. Das Zölibat bzw. das Gelübde der Ehelosigkeit wird als Chance gelesen, sich nicht mit der eigenen sexuellen Identitätsbildung auseinandersetzen bzw. keine unreife Partnerschaft eingehen zu müssen. Missbrauchsfälle kommen meist erst längere Zeit nach der Priesterweihe vor.

 

4. Frustrierter Typus: Im Durchschnitt erfolgt die erste Tat eines sexuellen Missbrauchs im Alter von 42 Jahren, das ist bei den meisten Priestern ca. 14 Jahre nach ihrer Priesterweihe. Auslöser könnten zunehmende Belastungen sein: Psychosoziale Vorbelastungen, Überforderungen und Probleme in der Amtsführung, Finanzprobleme, Tod von Angehörigen, Substanzmittelgebrauch (Alkohol, Medikamente, Drogen), Vereinsamung.

 

Bei der Aufdeckung bzw. Konfrontation sind bei Beschuldigten häufig die folgenden Reaktionsmuster zu beobachten:

 

Verleugnung der Sache an sich: „Es ist nichts passiert.“

  • Verleugnung der Verantwortung: „Es ist etwas passiert, aber es ging nicht von mir aus.“
  • Verleugnung des sexuellen Charakters: „Es ist etwas passiert und es ging von mir aus, aber es war nichts Sexuelles.“
  • Verleugnung der Schuld: „Es ist etwas passiert, es ging von mir aus, es war etwas Sexuelles und ist nicht in Ordnung, aber es geschah aufgrund besonderer (mildernder) Umstände.“ (Alkohol, sexuelle oder sonstige Frustrationserlebnisse, finanzielle Probleme, Angst vor Frauen, …)

A.3.7 Strukturelle Bedingungen sexueller Gewalt

 

Sexuelle Gewalt geht zunächst von Einzeltäterinnen bzw. Einzeltätern aus, hat aber auch strukturelle Bedingungen, die es diesen erleichtern, ihre Vorhaben umzusetzen. Daher ist es notwendig, auch die strukturellen Bedingungen sexueller Gewalt in den Blick zu nehmen. Oft erleichtern Strukturen den Täterinnen und Tätern, ihre Autoritäts- oder Vertrauensposition missbräuchlich gegen Kinder und Jugendliche auszunützen. Die besondere Stellung und moralische Reputation führten bisweilen dazu, dass Täterinnen und Täter mehr geschützt wurden als die Betroffenen. Ein Blick auf diese unterstützenden Strukturen ist daher notwendig, um geeignete Schritte in präventiver Hinsicht und in der Intervention setzen zu können.

 

Im Folgenden sind Faktoren, die sexuelle Gewaltübergriffe begünstigen und die Täterinnen und Tätern entgegenkommen können, dargestellt.

 

A.3.7.1 Ein autoritärer oder autoritätsverschleiernder Umgang mit der eigenen Position

 

Eltern, Lehrerinnen bzw. Lehrer, Erzieherinnen bzw. Erzieher, Gruppenleiterinnen bzw. Gruppenleiter, Priester etc. sind für Kinder und Jugendliche Bezugspersonen bzw. Autoritätspersonen, denen sie Vertrauen entgegenbringen. Die Beziehung zwischen Kindern bzw. Jugendlichen und Erwachsenen kennzeichnen Macht- und Ressour- cenunterschiede, die im Falle sexueller Gewalt zur Befriedigung der Bedürfnisse von Erwachsenen ausgenützt werden. Machtunterschiede müssen wahrgenommen werden. Mit Verantwortlichkeiten muss transparent umgegangen werden.18

 

Bestimmte Vorstellungen zur Erziehung und zu den Beziehungen zwischen den Geschlechtern und Generationen arbeiten Täterinnen und Tätern in besonderem Maße zu. Autoritäre Erziehungsvorstellungen in Familie und Schule zielen in erster Linie darauf ab, dass Kinder Erwachsene nicht in Frage stellen dürfen, sondern ihnen bedingungslos zu gehorchen haben. Täterinnen und Täter haben dann in ihrem manipulierenden Vorgehen ein leichtes Spiel und sie können Druck zur Geheimhaltung ausüben.

 

A.3.7.2 Repressive Sexualerziehung

 

Wenn Kinder lernen, alle ihre Körperteile entsprechend zu benennen und anzunehmen sowie ihren Gefühlen (auch unangenehmen Gefühlen) zu trauen, können sie eventuell Übergriffe schneller erkennen. Dann können sie leichter verbalisieren, was ihnen passiert ist, sich wehren oder Hilfe holen. Werden sexuelle Handlungen verpönt, so kann sich dies im ungünstigsten Fall darin äußern, dass jegliches Reden über Sexualität tabuisiert wird bzw. sexuelle Handlungen von Heranwachsenden streng geahndet werden. Dass Betroffene sich als sündhaft und (mit-)schuldig erleben, erleichtert die Aufrechterhaltung und Geheimhaltung der Übergriffe und wird von Täterinnen bzw. Tätern oftmals bewusst ausgenützt.

 

Äußerungen, dass Kinder bzw. Jugendliche gleichberechtigte Sexualpartnerinnen bzw. Sexualpartner von Erwachsenen seien, fördern einen ausbeutenden Umgang mit der Sexualität von Kindern und Jugendlichen.

 

A.3.7.3 Missbrauch religiöser Motive und Praktiken

 

Täterinnen und Täter aus dem kirchlichen Kontext benützen bisweilen religiöse Metaphern, durch die Abhängigkeiten gefestigt werden sollen. Bilder des „allmächtigen Vatergottes“, der „demütigen Gottesmutter“ und des „gehorsamen Gottessohnes“ können verwendet werden, um gläubige Kinder und Jugendliche in Abhängigkeit zu führen.

 

Wenn nach einem erfolgten Missbrauch Zwang ausgeübt wird, dass die betroffene Person die erlittenen Taten als „Vergehen“ dem Täter beichten muss,19 stellt das einen neuerlichen Missbrauch dar. Ebenso wenn einer betroffenen Person durch einen anderen Beichtpriester verboten wird, über das Vorgefallene zu sprechen.

 

A.3.7.4 Ausblenden von sozialem Kontext

 

Der soziale Kontext bei Missbrauch und Gewaltvorkommen ist zu beachten. Das soziale Umfeld braucht Orientierung und Unterstützung in der Einschätzung von und im Umgang mit Missbrauchstaten, damit es nicht zu einer Täterinnen- bzw. Täter-Opfer-Umkehr kommt und Betroffene erneut Gewalt erleiden. Institutionen und Gemeinschaften, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, sollen ein Wissen über sexualisierte Gewalt und Kenntnisse über geeignete Interventionsmaßnahmen haben, wozu diese Rahmenordnung eine Hilfestellung ist. Daher soll in allen Einrichtungen auch eine fördernde Umgebung und Gesprächskultur geschaffen werden, in der die Tabuisierung aufgelöst und die Belastungs- und Gewaltsituationen thematisiert werden können.

 

Daher wird ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Erstellung von Schutzkonzepten (siehe Teil B.3.3) hingewiesen.

 


 

Teil B - Prävention

 

Papst Franziskus

 

Aus der Einführungsansprache zum Treffen „Schutz von Minderjährigen in der Kirche“ von Papst Franziskus in der neuen Synodenaula, gehalten am Donnerstag, 21. Februar 2019.20

 

Angesichts des Übels des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Männer der Kirche war es mein Wunsch, euch Patriarchen, Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Ordensobere und Verantwortungsträger hinzuzuziehen, auf dass wir alle gemeinsam auf den Heiligen Geist hören und uns folgsam von ihm leiten lassen, um dem Schrei der Kleinen Gehör zu schenken, die Gerechtigkeit verlangen. Auf unserem Treffen lastet das Gewicht der pastoralen und kirchlichen Verantwortung, die uns verpflichtet, gemeinsam auf synodale, aufrichtige und gründliche Weise darüber zu diskutieren, wie wir diesem Übel entgegentreten können, das die Kirche und die Menschheit heimsucht. Das heilige Volk Gottes schaut auf uns und erwartet von uns nicht einfache, selbstverständliche Verurteilungen, sondern konkrete und wirksame Maßnahmen, die zu erstellen sind. Es braucht Konkretheit.

 

Beginnen wir also unser Programm, ausgerüstet mit dem Glauben und dem Geist größten Freimuts („parrhesia“), der Furchtlosigkeit und Konkretheit.

 

Als Hilfsmittel erlaube ich mir, euch einige wichtige Kriterien mitzugeben, die von den verschiedenen Kommissionen und Bischofskonferenzen erarbeitet wurden – sie stammen von euch, ich habe sie ein wenig zusammengestellt. Es sind Leitlinien, die unsere Überlegungen unterstützen sollen. Sie sind einfach ein Ausgangspunkt. Sie kommen von euch und kehren zu euch zurück. Sie nehmen nichts weg von der Kreativität, die bei diesem Treffen herrschen soll.

 

Die Wahrheit wird euch frei machen

 

Angesichts des Ausmaßes von Missbrauch und Gewalt in der katholischen Kirche, das sich etwa seit den 1990er-Jahren weltweit immer mehr zeigte, war die Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich, die die österreichischen Bischöfe 2010 unter Vorsitz von Christoph Kardinal Schönborn und im Einvernehmen mit den Ordensleuten Österreichs erstmals herausgegeben haben, ein geeignetes und gelungenes Instrument zur gemeinsamen Aufarbeitung dieser tiefen Wunde im Leben der Kirche.

 

Auf dieser ersten Grundlage konnte vielen Betroffenen von Missbrauch und Gewalt konkret geholfen werden. Da man bisher aber keine Erfahrungen im gemeinsamen Vorgehen gegen Missbrauch und Gewalt hatte, zeigte sich schon bald, dass diese Rahmenordnung einer Ergänzung und Präzisierung bedurfte. Im Jahr 2016 konnte der damals zuständige Bischof Klaus Küng im Auftrag der Bischofskonferenz und im Einvernehmen mit den Ordensleuten Österreichs eine zweite, überarbeitete und ergänzte Auflage dieser Rahmenordnung vorlegen. Schon damals wurde aber festgehalten:

„Es ist uns bewusst, dass die Bemühungen um Schutz vor Gewalt und Missbrauch niemals als abgeschlossen betrachtet werden können.“

 

Heute können Bischofs- und Ordenskonferenz Österreichs erstmals gemeinsam nach einem kollektiven Überarbeitungsprozess eine dritte, überarbeitete und ergänzte Rahmenordnung der Öffentlichkeit vorlegen. In der Praxis der letzten Jahre hatte sich gezeigt, dass einige spezielle Problemstellungen bisher nicht berücksichtigt waren. Dieses Defizit konnte besonders in der neu überarbeiteten „Verfahrensordnung bei Beschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs und Gewalt“ behoben werden. So wurden etwa die unterschiedlichen Begrifflichkeiten vereinheitlicht und noch genauer definiert, die Gestalt und Durchführung von Präventionsmaßnahmen präzisiert sowie die konkreten Erfahrungen in den Verfahrensabläufen der letzten zehn Jahre hilfreich eingearbeitet. Auch haben wir uns um bessere Verständlichkeit und leichtere Lesbarkeit der Rahmenordnung bemüht. Mit dieser Neuauflage können wir eine verlässliche Handreichung für alle, die im kirchlichen Kontext mit Personal- und Präventionsfragen befasst sind, anbieten.

 

Als besonderen Gewinn erachten wir, dass wir in Fragen des Opferschutzes in Österreichs Bischofs- und Ordenskonferenz an einem Strang ziehen und gemeinsam diese verbindliche Rahmenordnung vorlegen können. Möge sie den Betroffenen mehr Gerechtigkeit zukommen lassen und ein wirksames Instrument gegen jeglichen Missbrauch im kirchlichen Kontext sein! Damit auch weiterhin gelten darf: Die Wahrheit wird euch frei machen!

 

Dr. Benno Elbs

Vorsitzender des Beirates Opferschutz Österreichische Bischofskonferenz

 

Dr. Korbinian Birnbacher OSB

Vorsitzender der Österreichischen Ordenskonferenz

 

Dr. Hansjörg Hofer

Vorsitzender des Kuratoriums Stiftung Opferschutz

 

Sr. Franziska Bruckner

Stv. Vorsitzende der Österreichischen Ordenskonferenz


 

B.1 Kultur des achtsamen Miteinanders

 

Die Achtung der Menschenwürde ist vorrangiges Prinzip unseres Handelns. Der Schutz der Kinder, Jugendlichen und anderen schutzbedürftigen Personen steht im Vordergrund. Gelingt deren Schutz in allen kirchlichen Institutionen, ist damit auch der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Schutz der Einrichtung vor Pauschalverdächtigungen und Vertrauensverlust gegeben.

 

Grundauftrag der Kirche ist es, „heilsamer Raum“ für alle Menschen zu sein. Es ist die Verantwortung jedes Gliedes der Kirche, dass dies verwirklicht und für alle erfahrbar wird.

 

Kinder tragen keine Verantwortung für das übergriffige Verhalten der Erwachsenen. Das strategische Vorgehen und der latente Druck, der in der Regel von Beschuldigten ausgeübt wird, übersteigen die Abwehrfähigkeit der Kinder.

 

Jede sexuell übergriffige, grenzverletzende Verhaltensweise gegenüber Kindern unter 14 Jahren ist strafrechtlich relevant und verboten. Nach dem Kirchenrecht ist jede sexuell übergriffige, grenzverletzende Verhaltensweise gegenüber Kindern unter 18 Jahren verboten.

 

Rein kindbezogene Präventionsansätze haben zwar gewisse Effekte, stoßen aber schnell an ihre Grenzen.

 

Es braucht grundsätzlich eine Kultur der konstruktiven Einmischung und Auseinandersetzung, eine „Kultur des Hinschauens“. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie schutzbedürftigen Personen kann nur gelingen, wenn ihn alle als gemeinsames Anliegen und gemeinsame Verantwortung sehen. Die entsprechende Sensibilisierung und die daraus folgende notwendige Professionalisierung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Schaffung von klaren Regeln und Strukturen (Schutzkonzepte) sind notwendig.21

 

B.2 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

 

B.2.1 Auswahl und Aufnahme von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

 

Besondere Aufmerksamkeit wird von den Verantwortlichen in den Diözesen und Orden, den Regenten und den leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Auswahl und Aufnahme von Klerikern, Ordensleuten sowie haupt- und ehren- amtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf die Reife der Persönlichkeit und den Umgang mit Sexualität und Macht und damit verbundenen Problemen gelegt.

 

Im Aufnahmeverfahren wird auch die Einschätzung von Bezugspersonen (z. B. priesterliches Empfehlungsschreiben oder gegebenenfalls Stellungnahme einer früheren Ordensoberin bzw. eines früheren Ordensoberen oder früheren Generalvikars) aus dem Umfeld der Kandidatinnen und Kandidaten eingeholt.22, 23

 

Werden belastende Faktoren deutlich, so wird eine Fachperson bei einem Aufnahme- bzw. Anstellungsverfahren beigezogen. Bei Seminaristen, Novizinnen und Novizen und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pastoral ist eine psychologische Beurteilung grundsätzlich empfohlen.

 

Zusätzlich sind für Weihekandidaten auch die österreichischen Richtlinien für die Aufnahme und Ausbildung („ratio nationalis“) maßgeblich.

 

Ein erweiterter Strafregisterauszug (Kinder- und Jugendfürsorge) muss bei jeder Anstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei der Aufnahme in die Ausbildung zum ständigen Diakonat sowie bei der Aufnahme ins Priesterseminar eingeholt werden.

 

Die Rückfallquote von extrafamiliären Missbrauchstäterinnen und Missbrauchstätern (d. h. Opfer und Täter stammen nicht unmittelbar aus demselben nahen familiären Umfeld) liegt bei 50 %. Unter Anwendung von Therapie ist eine Senkung der Rückfallquote auf unter 20 % möglich. Unter laufender Therapie (u. U. heißt das dauerhaft begleitend stattfindende Therapie) ist eine Reduktion auf unter 10 % möglich. Die Prognose kann dabei deutlich verbessert werden, wenn in der Therapie situative Parameter beachtet werden.

 

Keinesfalls werden Missbrauchstäterinnen und Missbrauchstäter in der Pastoral eingesetzt, wo der Kontakt zu Kindern und Jugendlichen besteht. Über mögliche Einsätze in anderen Bereichen wird eine Entscheidung im Einzelfall getroffen. Dabei werden die Art des Vergehens, die Schuldeinsicht und Wiedergutmachung der Täterin oder des Täters, die Wiederholungsgefahr und die größtmögliche Sicherheit für die Menschen im Wirkungsbereich berücksichtigt. Ein forensisch-psychiatrisches Gutachten ist dabei eine wesentliche Voraussetzung, um das zu erwartende Risiko zu bestimmen. Der Wiedereinsatz im kirchlichen Dienst ist zudem davon abhängig, ob dadurch ein berechtigtes Ärgernis oder eine Gefährdung des Vertrauens in die Kirche hervorgerufen werden kann.

&nb


Zusatzinformationen:

Neue Rahmenordnung 2021

Hier können Sie die neu überarbeitete Rahmenordnung "Die Wahrheit wird euch frei machen" (Stand September 2021) für die katholische Kirche in Österreich einsehen und

 

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Die Rahmenordnung in Fremdsprachen

  • Englisch
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  • Kroatisch

Heimopferrentengesetz

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Mit Juli 2017 ist das Heimopferrentengesetz (HOG) in Kraft getreten, welches Opfern von Gewalt in Heimen den Bezug von Rentenleistungen ermöglicht.

 

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Fakten & Zahlen

 

Seit 2010 hat die Unabhängige Opferschutzkommission 3.492 Fälle entschieden. In 3.214 Fällen wurde zugunsten der Betroffenen entschieden. Insgesamt handelt es sich um 3.640 Betroffene von physischer und/oder sexueller Gewalt, davon 2.271 Männer (62,4%) und 1.369 Frauen (37,6%).

 

Den Betroffenen wurden bisher in Summe 37,7 Mio. Euro zuerkannt, davon 29,79 Mio. Euro als Finanzhilfen und 7,91 Mio. Euro für Therapien. Die Kirche hat alle Entscheidungen der "Klasnic-Kommission" umgesetzt. In 278 Fällen wurden keine Leistungen zuerkannt.

 

Die Betroffenen haben insgesamt 8.498 Vorfälle gemeldet, das heißt, dass die Mehrheit von zwei oder mehr Übergriffen betroffen war. 80% der Betroffenen berichten von psychischer Gewalt, 79% der Betroffenen berichten von körperlicher Gewalt, 27% von sexueller Gewalt und 11% von körperlicher und sexueller Gewalt, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. 62,5% der Betroffenen sind männlich, 37,5% weiblich.

 

Die meisten Vorfälle sind rechtlich verjährt und haben sich hauptsächlich in den 1960er- und  1970er-Jahren ereignet (0,4% der Fälle lassen sich zeitlich nicht zuordnen): 12,1% der Fälle sind in den 1950er-Jahren und früher geschehen, 34,7% in der 1960er-Jahren, 34,5% in den 1970er-Jahren, 11,7 % in den 1980er-Jahren, 4,8% in den 1990er-Jahren und 1,8% seit 2000.

 

62,6% der Betroffenen waren zum Zeitpunkt der Übergriffe 6-12 Jahre alt, 28,2% 13-18 Jahre, 7,3% waren jünger als 5 Jahre, 1,6% waren über 18 Jahre, 0,3% sind nicht näher definiert. 72,1% der Betroffenen wurde 1965 oder davor geboren und sind somit heute rund 60 Jahre oder älter.

 

(Stand: 31. Mai 2025)

 

 

Maßnahmen der Katholischen Kirche in Österreich gegen Missbrauch und Gewalt - Ein Überblick

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